Zuweisermarketing: 6 + 1 Tipps für mehr Patient:innen & Umsatz
Lesezeit: 7 Minuten
Erderwärmung, Fake News und effektives Zuweisermarketing: Auf diese drei Herausforderungen scheint die Welt keine Antwort zu finden. Flächendeckend wird die Kommunikation zu Patient:innen und Laienpublikum immer digitaler und effizienter, zumindest sind das die Ambitionen. Doch den großen Hebel im deutschen Gesundheitssystem weiß selten jemand zu bedienen. Sind sie schlicht unerreichbar, diese „Götter in Weiß“?
Ob es nun aus Sicht von Krankenhäusern Zuweisermarketing heißt, in Pharmakonzernen von Verschreiber:innen die Rede ist oder es allgemein Healthcare Professionals/HCP-Marketing genannt wird: Meiner Erfahrung nach fehlen über Branchen hinweg Entschlossenheit und Fantasie. Irgendetwas macht zwar jede:r. Doch dass die eigenen Maßnahmen wirken, bezweifeln die meisten.
In diesem Artikel möchte ich mit Ihnen Denkfelder betreten, denen effektives Zuweisermarketing entsteht, das tatsächlich zu stärkerem Image, mehr Reichweite und mehr Patient:innen führt.
Was ist Zuweisermarketing?
Zuweisermarketing (auch Arztmarketing oder Ärzte-Marketing) bezeichnet eine spezielle Form im Pharmamarketing. Es zielt darauf ab, die Beziehungen zwischen einem Gesundheitsdienstleister und anderen Akteur:innen im Gesundheitswesen (z.B. niedergelassene Ärzt:innen, Allgemeinmediziner:innen, Therapeut:innen) zu stärken und auszubauen.
Ziel ist es, das Vertrauen und das Bewusstsein für die Leistungen des Gesundheitsdienstleisters zu erhöhen und so Empfehlungen von anderen Gesundheitsdienstleistern und Einrichtungen zu erhalten. Mit erfolgreichem Zuweisermarketing kann die Wahrnehmung der Marke verbessert, die Reichweite erhöht und letztendlich das Wachstum des Unternehmens vorantreiben werden. So viel zur Theorie, wie ich es in einer Hausarbeit ausdrücken würde.
Aus praktischer Sicht sehe ich es so: Zuweisermarketing ist
- am Ende des Tages Hardcore B2B Marketing, mit CRM, Lead-Pflege, Key Account Management etc.
- an eine schwierige, spitze und teils kaum belehrbare Zielgruppe gerichtet, bestehend aus…
- zugespammten, überarbeiteten und nicht selten am Burnout kratzenden Healthcare Professionals [1].
- Dennoch digital spätestens seit Covid-19 im Kommen [2],
- der Hebel im deutschen Gesundheitssystem
- und wird trotzdem in fast jedem Gesundheitsunternehmen stiefmütterlich behandelt.
Wieso HCP-Marketing stiefmütterlich behandelt wird
Zu Beginn der Zusammenarbeit mit neuen Kund:innen begegne ich fast immer einer dieser vier Konstellationen:
- Flyer und Broschüren werden nach uralten Prinzipien rausgehauen, Outcome unbekannt. Just don’t touch it – sonst hast du das Thema am Ende noch selbst an der Backe.
- Es wird richtig viel Herzblut in eine B2C-Kampagne gesteckt. Mit den restlichen 5% des Budgets wird auch etwas für die Zuweiser getan.
- „It’s an Außendienst Thing“. Frei nach Major Tom völlig losgelöst von sonstigen Kanälen und Marketingstrategien betrieben.
- Es existiert nicht bzw. wird mit keinem Wort erwähnt.
Und das, obwohl schätzungsweise 70 bis 80% der Patient:innen deutscher Krankenhäuser über Zuweiser kommen [3], von der Bedeutung der Verschreiber für Rx-Produkte ganz zu schweigen. Woher diese Vernachlässigung kommt, verdient eine Studie für sich.
Ich persönlich vermute fünf vordergründige Ursachen:
- Die interne Kapazität: Unternehmen haben nicht die personellen Ressourcen, dieses wichtige, aber den meisten Marketingmanagern vollkommen fremde Terrain zu betreten.
- Der Fachkräftemangel: Agenturen als Impulsgeber scheiden zunehmend aus. Ob kreativ oder digital – Spezialist:innen tun sich schon im B2C bei HWG und Co. schwer genug.
- Die Blackbox: Inhaltlich – was ist der Schlüssel zum Erfolg? Aber auch die Messbarkeit führt dazu, dass Zuweisermarketing eher in die Schubladen „Experiment“ oder „Kosten“ fällt statt als Investment gesehen zu werden. Nicht dass die Messbarkeit nicht möglich wäre – nur bei Weitem nicht so einfach wie Besucher:innenzahlen und Impressionen im B2C.
- Das Politikum: You live by the HCP, you die by the HCP. Es ist ein kritisches Publikum, ja fast schon eine Jury, wie die Professionals zur Marke stehen. Auf Nummer sicher gehen und es schlicht so machen wie der Marktwettbewerb, scheint ein gangbarer Weg zu sein, mit dem niemand um einen Kopf kürzer gemacht wird.
- Das Henne-Ei-Prinzip: Letzteres ist das perfekte Rezept, im vollen Arbeitsalltag der HCPs unterzugehen. Wenn Ihre Zielgruppe Orthopäd:innen sind, dann gehen Sie davon aus – die haben schonen einen großen Stapel an sterilen Broschüren, wieso alle möglichen Produkte gut fürs Knie sind…
86% der HCPs schätzen guten, neuen Content und wollen vor allem digital informiert werden [4] – doch nicht so. „So“ führt zu noch mehr Reaktanz, was wiederum zu noch mehr Zweifeln an der Effektivität des eigenen Zuweisermarketings führt.
Exkurs: ChatGPT sieht es etwas diplomatischer – doch gibt mir im Grunde recht.
Genug gemeckert und geurteilt. Schauen wir uns jetzt an, wie Zuweisermarketing an Effektivität gewinnen kann.
Tipp 1: Dedizierte Strategie für das Zuweisermarketing
»Gut reicht nicht, perfekt muss es sein.«
An das Wort „perfekt“ glaube ich persönlich nicht, doch dieses Zitat hat etwas. Denn Zuweisermarketing ist bestimmt nicht nebenher gemacht. So wie sich Marketing-Teams bei B2C-Strategien den Kopf zerbrechen – mindestens mit dem Eifer müssen auch die HPCs und ihre Bedürfnisse analysiert, verstanden und bedient werden.
Die Betonung liegt auf „mindestens“, denn es braucht die B2B-Präzision: Ein einziger falsch bespielter Kontakt kann folgenschwer sein, wenn es ein Zuweiser der Kategorie A ist. Sodass es als Grundlage eine tiefe Analyse von Markt, Zielgruppe, Wettbewerb und eigenem Angebot braucht.
Erst mit fundiertem Wissen lassen sich Ziele klar formulieren und in operable, messbare Sub-Ziele übersetzen. Und jetzt kann die dedizierte Strategie für das Zuweisermarketing konzipiert werden – statt es als einen Unterpunkt mit drei Bullet Points in einer allgemeinen Marketingstrategie zu belassen.
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Tipp 2: Die speziellen Value Propositions
So sehr niedergelassene Ärzt:innen ein Herz für ihre Patient:innen haben – sie sind auch Selbstständige und es schwirrt immer die Frage mit: What’s in it for me? Um im Beispiel von oben zu bleiben: Wenn Sie an Orthopäd:innen kommunizieren, dann wird nicht nur Ihr Produkt „gut fürs Knie“ sein. Diesen Vorteil verspricht der ganze Markt.
Ich empfehle Ihnen, wechseln Sie die Perspektive und legen Sie die USPs der Patient:innenkommunikation mal beiseite. Wenn Ihr Produkt als App „der Assistent für den Alltag“ ist, dann beginnen Sie die Story in der Zuweiserkampagne womöglich im überfüllten Wartezimmer.
Tipp 3: Who the Mike?
Häufig fallen sie zwar flach aus, aber im B2C gehören Buyer Personas schon lange zum Standardrepertoire. Die Zielgruppe wird segmentiert nach Einkommen, Alter, Problemen oder Wünschen. Jedes Segment bekommt einen vermenschlichten Vertreter: Heike, Tom und Gerd. Im Zuweisermarketing hingegen spricht man stets vom „Zuweiser“.
Dabei kann Ihre Zielgruppe unmöglich „alle“ lauten, denn Sie haben nicht bei allen die gleichen Chancen. Es gibt Menschen da draußen, die würden Ihren neuen Service (oder Produkt, App, Studie…) lieben. Und welche, die es für neumodischen Quatsch halten werden. Wieso also nicht voll auf den einen Typ gehen, statt mit „One size fits all“ von niemandem so richtig wahrgenommen zu werden?
Ansätze für Segmentierung gibt es viele:
- Manche sind sehr naheliegend wie die Hard Facts Alter, Ausbildung, Ort oder Praxisgröße.
- Andere erfordern ein laufendes CRM (siehe Tipp 4), wie die Unterteilung in A, B, C und Problem- oder Nichtzuweiser.
- Wiederum andere clustern nach Typen, zum Beispiel Analytiker, Extrovertierter, Denker, Erbsenzähler und Skeptiker.
Simplifiziertes Beispiel für Segmentierung nach Typen
Tipp 4: Customer-Relationship-Management (CRM)
Wir bewegen uns hier in einem speziellen B2B-Umfeld, in dem jeder Kontakt ein Multiplikator ist – und in endlichen Märkten: Als Krankenhaus bedienen Sie einen bestimmten Radius. Je nach Anwendungsgebiet sprechen Sie rund 19.000 Gynäkolog:innen oder die 5.885 niedergelassenen Orthopäd:innen an [5]. Man müsste sie fast schon einzeln kennen.
Wenn Sie noch kein CRM im Einsatz haben – heute ist ein schöner Tag, Ihrer To-Do-Liste einen Punkt weit oben hinzuzufügen: Beginnen Sie jetzt damit. Denn Zuweisermanagement gehört zum Standardrepertoire eines guten Zuweisermarketings in Krankenhäusern.
Hier führen Sie Ihre Kontaktdaten, Marketingmaßnahmen und die Messung von Marktanteilen, Patient:innenströmen und Resultaten zusammen. Hier können Sie ABC-Klassifizierungen vornehmen und RFM-Analysen fahren, nach Recency, Frequency und Monetary: Sieh an, Dr. Weber, eine einst zuverlässige Schlüsselzuweiserin, hat letztes Quartal keine Patient:innen eingewiesen. Ist sie erkrankt oder hat sie etwas verärgert?
Tipp 5: Qualitative und quantitative Bedürfnisanalyse
Lohnt sich das Advertorial? Sind es die LinkedIn-Preise wert? Wie wird denn das Haus oder die Marke von diesen wichtigen Mittler:innen überhaupt wahrgenommen? Und was sind überhaupt die Needs, die wir spätestens mit Tipp 2 „Spezielle Value Proposition“ adressieren? Die meisten Unternehmen wissen hierauf keine Antwort.
Während sie im B2C viel über die Patient Journey dank Google-Suchen oder Befragungen erfahren, bleiben die Zuweiser auf ewig eine Blackbox und werden stereotypisch wie Ärzt:innen von Stockfotos verstanden.
Eine professionelle Befragung, vor allem eine qualitative mit O-Tönen und Hintergründen, lohnt sich als Investition für Jahre.
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Tipp 6: Personalisierte User Experience & Dashboards
Die HCPs, denen ich beruflich heutzutage begegne, sind alle neugierig auf Trends und haben fast alle Sinn für Humor. Die Medizin-Student:innen, denen ich zu Uni-Zeiten begegnet bin, haben sich auf den Partys ebenso abgeschossen wie ich und hatten ebenso wenig Bock auf die Bib. Sprich – Menschen wie Sie und ich, die aus dem Alltag ebenso Netflix, Amazon und Spotify gewohnt sind.
Und wie werden sie digital auf HCP-Portalen angesprochen? Wie wandelnde Lexika! Manchmal glaube ich, die Websites und Eingabemasken für Fachpublikum sehen vorsätzlich so uralt-langweilig-hässlich aus, weil das für medizinische Seriosität steht…
So wie Analyse und Strategie im Zuweisermarketing dem B2C in nichts nachstehen dürfen, gilt das auch für (UX) Design und Marketingmaterial: Sie sollten die Menschen hinter dem „Prof. Dr. med.“ überraschen, begeistern und ihnen etwas Spaß bei der Arbeit bescheren – aber dennoch funktional-pragmatisch und seriös bleiben.
Neben Ästhetik und Content ist hier Personalisierung ein Schlüssel: Wenn es eine zentrale Website gibt, empfehle ich immer zumindest nach B2B und B2C zu personalisieren. Hat sich Ihr Zuweiser einmal eingeloggt und besucht Ihre Website erneut, sprechen Sie ihn doch direkt auf der Startseite an: „Welcome back, hier die neueste Studie. Der neue Vortrag von Dr. No auf unserer Fachkonferenz vorgestern. Ihre drei wichtigsten Funktionen.“
So verzahnen Sie die Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe mit Ihren eigenen Marketingzielen und schaffen, dass die starken Inhalte wirklich gefunden werden. Im nächsten Schritt sollte es auch ein personalisiertes Dashboard für diese Website-Inhalte und -Kanäle geben, damit die Daten zu diesen „Critical Few“ nicht in der Masse der Patient:innen untergehen: If you can’t measure it, you can’t manage it.
Bonus-Tipp: Respektiert werden für B2C-Kommunikation
Es gibt Gelegenheitsjobs und solche, denen man fast ein Leben verschreibt. Viele Zuweiser fallen in letztere Kategorie. Sie haben die Antennen immer gespitzt, wenn es im Alltag um „ihre“ Themen geht.
Wenn Sie im B2C Einheitskampagnen fahren (Omi & Opi auf dem Balkon um 18:32 Uhr im ZDF), dann werden Sie damit nicht das Interesse der HCPs wecken. Doch wenn Sie sich trauen, eine mutige, ausgefallene und doch sympathische Kampagne zu einem Tabu-Thema in „normalen“ Kanälen zu spielen – das wird auch in Fachkreisen diskutiert werden, da gebe ich Ihnen mein Wort drauf.
Fazit: Fangen Sie jetzt mit Kommunikation an, die sich abhebt
Ich fasse zusammen:
- Bis jetzt: Zuweisermarketing = Broschüre verschicken
- Ab jetzt: Dedizierte Strategie + spezielle Value Propositions + Who the Mike + CRM + Bedürfnisanalyse + personalisierte User Experience & Dashboards = Mehr als Broschüre verschicken
Ja, das klingt nach viel. Aber 70 bis 80% des Patient:innenstroms ist halt auch viel. Mit dem gewonnenen Wissen und der errichteten Infrastruktur sind Ihrer Kreativität keine Grenzen gesetzt. Jetzt können Sie:
- Kanäle bespielen, die wirklich mit Aufmerksamkeit genutzt werden.
- In der User Experience Begeisterung und Zeitersparnis an allen Ecken bieten (vorausgefüllte Formulare, relevante Homepages und Themen).
- Exklusive, hochwertige und limitierte (!) Inhalte und Webinare anbieten.
- Newsletter versenden, auf die sich die HCPs sogar freuen. Menschlich, mit Story und Anregungen zu „What’s in it for me?“ für den Zuweiser und mit klaren Zielen und Auswertungen für Sie.
- Und was HCPs besonders schätzen – 1st Hand Insights zu Patient:innen und Fallbeispiele reichweitestark streuen.
Quellen
[1] https://goodapple.com/hcp-marketing/
[2] Digitales Marketing: HCPs fühlen sich zugespamt, Regine Marxen, Health Relations (2022), https://www.healthrelations.de/hcp-fuehlen-sich-zugepamt/
[3] Studie des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen, Statistik der Deutschen Krankenhausgesellschaft
[4] Digitales Marketing: HCPs fühlen sich zugespamt, Regine Marxen, Health Relations (2022), https://www.healthrelations.de/hcp-fuehlen-sich-zugepamt/
[5] Deutscher Bundestag, Anzahl der Ärzte verschiedener Fachrichtungen Statistische Angaben zu Deutschland und ausgewählten europäischen Ländern (2019) https://www.bundestag.de/resource/blob/676584/538dc4e56180dd4a32e833d8bad40170/WD-9-053-19-pdf-data.pdf